Stolperstein 02 für Karola Lion Jg. 1891
Karola Lion, geb. Adler, JG. 1891 – Flucht 1939 nach Neuseeland
Vortrag von Dagmar Nix am 1.7.2015
Stolpersteinverlegung für die Mitglieder der Familie Leopold Lion vor dem Haus Kirchplatz 2
Ich freue mich wirklich sehr, dass für die früheren jüdischen Bewohner dieses Hauses, vor dem wir hier stehen, Stolpersteine zur Erinnerung an sie, verlegt werden.
Dieses Haus haben mein Mann und ich 1984 erworben. Im Obergeschoss befindet sich seitdem unsere Wohnung – die Wohnung, in der bis 1939 Leopold Lion Karola, geb. Adler, und ihre beiden Kinder Ernst und Ursula, genannt Ulla, gern gewohnt haben. Aber ein verbrecherisches Regime hat ihnen keine andere Wahl gelassen, als ihre Wohnung und ihre Heimat zu verlassen – um noch Schlimmeres zu vermeiden. Sie haben Zuflucht in einem sehr fernen Land gefunden – in Neuseeland.
Ich möchte noch einige Daten zu den hier zu ehrenden Personen beisteuern und ihre Schicksale schildern, weil dies natürlich auf der kleinen 10 x 10 cm großen Oberfläche des Stolpersteins nicht möglich ist:
Leopold Lion war der jüngere Bruder von Elias Lion, vor dessen Haus, in dem auch er zur Miete wohnte, heute ebenfalls Stolpersteine verlegt worden sind. Die beiden Brüder führten gemeinsam ein renommierte Textilkaufhaus“ an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, der damaligen Adolf-Hitler-Straße.
Die Familie Leopold Lions, Vater, Mutter, Sohn und Tochter wurden in Obernkirchen geboren. Alle 4 gingen hier zur Schule, wuchsen hier auch auf und lebten hier gern. Leopold verhielt sich – wie übrigens auch alle anderen Leidensgenossen – ausgesprochen patriotisch, d. h. er liebte Deutschland und besonders Obernkirchen.
Er nahm 1914/18 freiwillig als Frontsoldat am 1. Weltkrieg teil.
Nach dem Krieg übernahm er mehrere Ehrenämter, u. a. das Amt des Vorstehers der jüd. Gemeinde Obernkirchen, das er von 1923 bis zum bitteren Ende 1938 inne hatte.
Er war Mitbegründe der Freiw. Feuerwehr von Obernkirchen.
Als Dank dafür:
In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. 11. 1938, als ein wütender Mob von SS-Schergen durch Oberkirchen zog, wurde zum zweiten Mal eines der beiden Schaufenster ihres Textil-Kaufhauses demoliert und die ausgestellten Waren von der NS-Volkswohlfahrt beschlagnahmt.
Aber es kam noch schlimmer: Leopold und 7 oder 8 weitere jüdische Geschäftsleute aus Obernkirchen, darunter auch sein Bruder Elias, sein Schwager Paul Adler und sogar dessen 15jähriger Sohn Erich, wurden im Rahmen einer deutschlandweiten Aktion am nächsten Morgen verhaftet und dem KZ Buchenwald zugeführt. Die Begründung hierfür: Erhöhung des Ausreisedrucks.
Für Leopold Lion stand spätesten nach diesem Nazi-Terror fest, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Denn nur eine schnelle Ausreise konnte ihn und seine Familie vor der Deportation retten.
Um die erzwungene Ausreise finanzieren zu können, haben er und sein Bruder Elias den ohnehin nicht abwendbaren Verkauf ihres Kaufhauses beschleunigt. Der amtlich festgesetzte Preis entsprach etwa 1/3 des tatsächlichen Wertes. Die so durch den Naziterror erzwungene Ausreise führte die Familie – einschließlich der Mutter von Ehefrau Karola, Betty Adler , im Mai 1939 nach Neuseeland.
Sohn Ernst, der in Detmold von 1930 bis 1933 Textilkaufmann gelernt hatte und nach Rückkehr sein total verändertes Obernkirchen mit all den Anfeindungen, Demütigungen und Schikanen erlebte, beschloss für sich bereits 1935, unverzüglich seine Heimatstadt und Deutschland zu verlassen.
Seine Ausreise verzögerte sich dann aber bis Juni 1938. Immerhin sind ihm durch die frühere Ausreise, die schlimmen Ausschreitungen in der Pogromnacht sowie die Verhaftung am nächsten Morgen und das KZ Buchenwald erspart geblieben.
Dass trotz aller Schikanen und Demütigungen gegen die Eltern und Großeltern – nur weil sie Juden waren -, deren Nachfahren heute anwesend sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Diese große Geste erfüllt uns mit Demut und Dankbarkeit, aber auch mit großer Freude.
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